Bo Bardi, Lina
Baumeister
Warum ist eine italienische Architektin, die in Brasilien ihre einzig wahre Heimat gefunden hat, in einem Land erfolgreich gewesen, das sehr männergeführt war? Warum ist sie zu einem Idol geworden, nicht nur für die brasilianische Architektur, sondern auch als Vorzeige-Architektin der Moderne? Und ist es ihrem 100 jährigen Jubiläum zu verdanken, dass sie heute relevanter und inspirierender denn je wahrgenommen wird?
Porträt von Julia Hinderink
25.11.2014
Am 13. November 2014 fand in der Pinakothek der Moderne in München ein internationales Symposium über Lina Bo Bardi statt. Die Auswahl der Podiumsteilnehmer hatte zur Folge, dass sehr unterschiedliche Aspekte der Person Lina Bo Bardi und Ihres Werkes beleuchtet wurden.
Lina Bo Bardi wurde als Achillina Bo 1914 in Rom geboren. Sie studiert an der Facoltà di Architettura in Rom und schließt das Studium 1939 mit einer Diplomarbeit über ein Mutter-Kindheim ab. Anschliessend arbeitet sie in Mailand unter anderem für Gio Ponti, schreibt Artikel und entwirft Illustrationen für die damals gegründete Zeitschrift DOMUS. Sie weitet Ihre journalistischen Tätigkeiten aus und definiert über die Jahre ihren kritischen Blick auf die gängige Architektur.
1946 heiratet sie den Kunsthändler Pietro Maria Bardi und nennt sich seitdem Lina Bo Bardi. Bald nach Ihrer Heirat verläßt sie mit ihrem Mann Italien für immer und kehrt mit ihm in seine Heimat Brasilien zurück. Die beiden arbeiten eng zusammen, organisieren Ausstellungen und geben gemeinsam die Zeitschrift Habitat heraus. Zwischen 1951 und 1958 realisiert Bo Bardi ihr erstes Gebäude, das Casa de Vidro, in dem sie bis zuletzt lebt und zwei weitere Wohnhäuser. Sie erweitert Ihr kreatives Schaffen in verschiedene Richtungen, kuratiert Ausstellungen, entwirft Bühnenbilder und arbeitet weiterhin an theoretischen Texten.
1968 wird das Museu de Arte de Sao Paulo- MASP als erstes öffentliches Gebäude, was Lina Bo Bardi geplant hat eingeweiht. Knapp 10 Jahre später bekommt sie vom Servicio Social do Comércio ihren bis dato größten Auftrag für die Umgestaltung des ehemaligen Fabrikgeländes in Pompeia, SESC in ein Sport und Kulturzentrum. In den folgenden Jahren bekommt sie den Auftrag, ein Konzept für die Altstadtsanierung von Salvador zu entwickeln. Bis 1988 saniert sie mehrere Gebäude und stärkt die künstlerische Szene Bahias durch den Ausbau von Kulturzentren. Bis zu Ihrem Tod 1992 hat sie als Architektin und Künstlerin in vielen Fachgebieten gearbeitet.
Caterine Veikos anspruchsvoller Vortrag „Lina Bo Bardis Theory of Architecture- a Visual Narrative“ machte den Auftakt des Symposiums. Sie beschäftigte sich mit Bo Bardis Versuch, Denkweisen und Konzepte visuell darzustellen. Dabei nahm sie den Betrachter auf visuelle Reisen mit und brach Sichtweisen, die ganze Gesellschaftskonzepte darstellen. Ihre Aussage, dass das Unterrichten von Methoden wichtiger sei, als das Beibringen von Fähigkeiten spricht eine heute sehr aktuelle Praxis an. Das Prozesshafte in der Architektur wurde von Lina Bo Bardi zu einem frühen Zeitpunkt erkannt und gepflegt und Ihre Arbeitsmethoden können als demokratisch und modern bezeichnet werden. Sie hatte durchaus zu kämpfen in der Männerdomäne und hat mit viel Energie und Elan aber auch pädagogischem Geschick ihre Vorstellungen durchsetzen können.
Eine grosse Rolle für das Verständnis spielen Ihre Zeichnungen, von denen 7000 Stück im Lina Bo Bardi Institut aufbewahrt sind. Die wilde Mischung von Zeichnungen und Text, teilweise viersprachig kommentiert spiegelt die Vielschichtigkeit Ihrer architektonischen Sprache wieder. Sie war sich wohl bewußt, dass diese Dokumente später publiziert würden, da sie alle Blätter stets signiert hat. Ihre Erfahrung als Illustratorin hat sie genutzt, um ihre Ideen visuell zu kommunizieren. Statt nur eine Information zu übermitteln, hat sie Geschichten und Zusammenhänge, Stimmungen und Bezüge dargestellt.
Im Laufe des Tages entstand das Bild einer Frau, die viele Facetten hatte. Von der Grafikerin Designerin, Publizistin, zur Kuratorin, Architektin und Visionärin, die eine Gesellschaft in Brasilien vorfindet, mit der sie gemeinsam in eine Zukunft gehen möchte, jenseits der nachkriegsgeschädigten europäischen Schwere.
Ihre Architektur wollte eine nicht-nationale Gesellschaft fördern – das Interesse am Örtlichen und Volkstümlichen (lokal and popular) stellt sie dem Globalen und Allgemeinen gegenüber. Dabei geht es ihr weniger um eine spezielle architektonische Ausformulierung, als viel mehr um eine Haltung: „I didn‘t look for beauty, I looked for freedom“.
Das Museum of Modern Art Sao Paulo (MASP) wurde nie als schönes Gebäude gesehen, sondern als eine kollektive und soziopolitische Kunstform. Sabine von Fischer hat das MASP in allen Facetten vorgestellt und auch die Beweisführung angetreten, dass es nach all den Jahren immer noch als Raum für die freie politische und künstlerische Entwicklung der Gesellschaft, so wie Lina Bo Bardi es geplant hatte in Sao Paulo funktioniert.
Sie sah ihre Arbeit als Service an der Gesellschaft an. Ein Architekt muss ein Haus bereitstellen. „A bit of water, a bit of fire and everything is resolved“ hat Marcelo Carvalho Ferraz Lina Bo Bardi zitiert, als er über seine Mitarbeit in ihrem Büro sprach und das SESC Pompeia vorstellte. Sein Vortrag „Guerilla Architecture: The Making of SESC Pompeia“ zeigte sehr deutlich den damals ungewöhnlichen Anspruch einer Architektin, die eine Umnutzung der ehemaligen Fabrik aus der bestehenden Atmosphäre heraus entwickeln wollte. Nichts von der Lebendigkeit des Miteinanders der vielen Schichten von gesellschaftlichem Verbund durfte verloren gehen. Mit pädagogischem Geschick und täglichen Inspirationstexten für ihre Mitarbeiter hat sie eine Atmosphäre des Ermöglichens geschaffen, was man heute als „Empowerment“ bezeichnen würde.
Sie wollte in Brasilien an die Wurzeln der Profession zurückgehen. Als jemand der den Krieg in Europa erlebt hat, wollte sie eine bessere Welt schaffen. Sie arbeitete mit der damals jungen Architektengeneration, nicht mit der Generation Oscar Niemeyers. Und bis heute ist sie für junge Architekten inspirierend. Die Freiheit, die sie in Brasilien sah, die Mischung aus Kulturen und Völkern, trieb sie sehr an: „Ihr müßt nicht Europa oder Amerika folgen – eure junge Gesellschaft kann etwas Neues erschaffen“. Das entspricht einer Architekturhaltung des heutigen „Global South“. Sabine von Fischer meinte dazu, dass Lina Bo Bardis Dynamik, sich also zwischen verschiedenen Konzepten zu bewegen, heute so modern und inspirierend sei.
Andres Lepik schliesst am Ende des Symposiums den Kreis : Lina Bo Bardi ist eine mysteriöse Figur. All die Recherchen lassen immer noch Fragen offen. Was bedeutet Bo Bardis Werk und Geist heute? Er schlug vor, diese Fragen mit einer jungen Generation von (brasilianischen) Architekten zu diskutieren.
Anlässlich Lina Bo Bardis hundertstem Geburtstag zeigt das Architekturmuseum der TU München die Ausstellung »LINA BO BARDI 1OO – Brasiliens alternativer Weg in die Moderne«. Die Präsentation stellt die Entwicklung ihrer Architektur in den Mittelpunkt.