Luis Longhi

Bauen als Liebesakt

Der Peruaner Luis Longhi hat ein ganz eigenes Verständnis von Architektur. Unsere Autorin nimmt er mit auf ein kurvenreiches Gesprächserlebnis.

Text: Julia Hinderink

Luis Longhi hat unseren Interviewtermin auf das Ende meiner Reise durch Peru gesetzt. Warum? Im Gespräch mit ihm wurde das sofort schlüssig. Er will kein „Interview“ geben. Er möchte sich unterhalten. Meine Eindrücke der Inka- und Prä-Inka- Bauten boten ihm die Grundlage für ein Gespräch über die kontemporäre peruanische Architektur, die er mit seinen Entwürfen verfolgen möchte.
Zweieinhalb Stunden lang sprechen wir. In dieser Zeit entwickelt Longhi Thesen, scheint neue Blickwinkel auf seine eigene Architektur zu finden. Und er zeigt sich als intensiver Zuhörer, der, wie er betont, immer bewusst unvorbereitet in Gespräche geht. Ebenso wie in Vorträge. Unter Dyslexie leidend, hat er als Kind ein auditives Lernverhalten entwickelt und die Fähigkeit, alles Erfahrene ohne Mithilfe von Schrift so abzuspeichern, dass er mühelos Zugriff auf eine Vielfalt von Themen und Details hat.
Bücher oder Zeitungen liest er, seiner eigenen Aussage nach, nie. Alles, was er weiß, hat er in Gesprächen gelernt. Der finnische Architekt und Theoretiker Juhani Pallasmaa hat zu Luis Longhi einmal gesagt: „Es gibt viele verschiedene Wege, etwas zu lernen – Du hast Deine eigene Einzigartigkeit gefunden.“ Die Sprünge und Kurven im Gespräch sind dement- sprechend rasant. Sie zeigen das Bild eines Gestalters, der sich von seiner Intuition leiten lässt. Ihm geht es um eine „conception of architecture“, für ihn das positive Gegenmodell zu einem rigiden „concept of architecture“.

Über den Umweg USA zu den Wurzeln
Luis Longhi studierte zeitgleich Architektur und Bildhauerei an der University of Pennsylvania und schloss in beiden Fächern mit Auszeichnung ab. Bereits als Student arbeitete er sechs Monate lang für den in- dischen Architekten Balkrishna Vithaldas Doshi in dessen Studio im indischen Ah- medabad. Nach einem weiteren Studium der „Computer Animation in Architecture/ Landscape Architecture and Urban Design“ an der Graduate School of Design in Harvard arbeitet Longhi zunächst in den USA. Nach 13 Jahren kehrt er nach Peru zurück. Seitdem pflegt Longhi internationale Kooperationen, etwa mit dem japanischen Architekten Fumihiko Maki. Durch das Doppelstudium beeinflusst, ist in seiner Architektur das skulpturale Element stark ausgeprägt. Das Studium der Inka-Architektur bestärkte ihn in diese Richtung. Es bietet Longhi die Möglichkeit, seine intuitive Herangehensweise in eine Tradition der kulturellen Kontinuität zu stellen. Schon in der Schule in Puno am Titicacasee wurde „Ahnenkomposition“ gelehrt. Die Kinder sollten ihre liebste Inka-Mauer aussuchen und mit Hilfe von Kartonpuzzlestücken reproduzieren. Zwei, drei „Steine“ waren der Startpunkt, aus denen sich die gesamte Wand entwickelt hat. Und so wie Hunderte Jahre zuvor hat jeder individuelle Stein seinen Weg in das Gesamtwerk gefunden. Diese Verbundenheit bezeichnet Longhi in seiner Arbeit als „einen Akt der Liebe“: die Liebe zum Ort, die Liebe zum Material und die Freiheit, sich spirituell leiten zu lassen.
Unbezahlbar: Bauen mit Herz
Mit diesen Prinzipien ist sein bekanntestes Werk entstanden, das „Pachacámac Hill House“. Von 2003 bis 2010 als Wohnhaus für ein Seniorenpaar geplant, die dort ihre letzten Lebensjahre verbringen möchten, war die Auseinandersetzung mit dem Tod eine der Aufgaben, die Longhi in Architektur umsetzen musste. Während man bei uns für vergleichbare Projekte versuchen würde, „Geborgenheit und Wohnlichkeit“ zu schaffen, geht Longhi einen radikal an- deren Weg. Er konfrontiert die Bewohner mit den Elementen und einer Kargheit, die an ein Kloster erinnert. Zugleich erschafft er mit der Kombination des Betons und Natursteins eine Verbindung zur Inka- Architektur, die etwas Ewiges in sich trägt. Er empfindet es als große Ehre und Vertrauensbeweis, solch eine Bauaufgabe zu erfüllen, und bezeichnet diese Bauwerke als „Container, der Dich ins Ewige transportiert“. Gerade bei diesen Projekten tut er sich schwer damit, ein Honorar zu verlangen, und bietet den Bauherren an, den Preis selbst zu bestimmen, immer gemäß seinem Credo, das Erschaffen von Architektur sei ein Akt der Liebe. „In dem Moment, wo man einen Preis daran heftet, wird es nur Architektur.“ Dennoch ist natürlich auch Longhi den Zwängen unterworfen, seinen Lebensunterhalt als Architekt zu verdienen. Er erreicht dies mit Wohnbauprojekten für eine wohlhabende peruanische Klientel.
Zum Abschied bekomme ich von dem Architekten, der weder liest noch schreibt, eine Widmung in ein Buch über seine Theaterprojekte. Ein bisschen von dieser Welt ist doch in ihm vorhanden.

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